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Die 'schöne Seele' der Künstlichen Intelligenz.

Michael Seibel • Hintergrund einer unmöglichen Zuschreibung   (Last Update: 21.07.2023)

Iphigenie auf Tauris:

Denn ach! mich trennt das Meer von den Geliebten,

Und an dem Ufer steh ich lange Tage,

Das Land der Griechen mit der Seele suchend“.


Ist es möglich, dass eine Künstliche Intelligenz eine Seele hat? Es geht mir in Folgendem nicht darum, diese Frage mit ja oder nein zu beantworten, sondern verständlich zu machen, was für eine seltsame aber dabei keineswegs unsinnige Frage das ist. Man kommt auf interessante Perspektiven dabei. Und zwar nicht nur über Maschinen, sondern gerade auch über die Menschen, die sie entwickeln.



Turing-Test für Schlauberger


Um diese Frage versuchsweise zu beantworten variieren wir den Turing-Test. Alan Turing schlug vor, uns von der Intelligenz einer Maschine, einer artificial Intelligence (AI) oder künstlichen Intelligenz (KI) durch den Nachweis zu überzeugen, dass die Maschine über Konversationsfähigkeiten auf menschlichem Niveau verfügt. Dazu schlug Turing ein „Nachahmungsspiel“ vor, den sogenannten „Turing-Test“: ein Spiel, das „von drei Personen gespielt wird, einem Mann (A), einer Frau (B) und einem Fragensteller (C) ... Der Fragensteller bleibt in einem von den anderen beiden getrennten Raum. … Ziel des Spiels für den Fragensteller ist es, herauszufinden, wer von den anderen beiden der Mann und wer die Frau ist. Der Fragensteller darf A und B Fragen stellen (per Fernschreiber, um visuelle und akustische Hinweise zu vermeiden). … . Das Ziel von A im Spiel ist es, C dazu zu bringen, sich falsch zu identifizieren. … Ziel des Spiels für den dritten Spieler (B) ist es, dem Fragensteller zu helfen.“ Turing erklärt: „Wir können uns nun die Frage stellen: ‚Was passiert, wenn eine Maschine in diesem Spiel die Rolle von A übernimmt?‘ Wird der Fragensteller bei einem solchen Spiel genauso oft eine falsche Entscheidung treffen wie bei einem Spiel zwischen einem realen Mann und einer realen Frau?“

Intelligenz wäre demnach die Fähigkeit, einen urteilsfähigen Menschen hereinzulegen.1 Man kann diesem Verständnis von Intelligenz eine gewisse Eleganz nicht absprechen, lässt sie sich doch offensichtlich leicht operationalisieren. Die Testvorraussetzungen sind: die Spielregeln sind klar und die Diskursteilnehmer sind kompetent.

Würde der Test gegebenenfalls auch beweisen, dass die Maschine nicht nur über Intelligenz verfügt, sondern über eine Seele? Es sieht im Gegenteil so aus, als ließe sich durch den Test nicht einmal beweisen, dass Person (A) eine Seele hätte und erst recht nicht die Maschine, die seinen Platz einnehmen soll, obwohl es durchaus einen, wie wir Rheinländer sagen 'fiesen Charakter' vermuten lässt, wenn jemand seine Intelligenz ausgerechnet dazu nutzt, andere reinzulegen.



Was die Seele auch tut: „ … nach hause telefonieren!“


Bekanntlich halten die modernen Naturwissenschaften die Begriffe der Seele und selbst schon den des Gedankens für verzichtbar. Zumindest für das, worum es ihnen geht.


Dennoch würde auch heute jeder zugeben, dass es etwas anderes bedeutet, wenn Iphigenie äußern würde: „Und an dem Ufer steh ich lange Tage, Das Land der Griechen mit dem Fernrohr suchend“, … „Das Land der Griechen mit der Psyche suchend“ oder eben Und an dem Ufer steh ich lange Tage, Das Land der Griechen mit der Seele suchend“.


Dass es hier offenbar um Sehnsucht geht, heißt in keiner Weise, dass wir die Seelentätigkeiten auf den sehnsüchtigen Blick in die Ferne beschränken wollen. Die Stelle dient uns vielmehr als Indiz.


An diese Differenz kommt ein „Nachahmungsspiel“ von der Bauart des Turing-Test, ein Spiel mit klaren Regeln nicht heran. Sehr viel eher ein Schauspiel wie Goethes Iphigenie oder ein Film wie Steven Spielbergs 'E.T., der Außerirdische' in der berühmten Szene, die damit beginnt dass die kleine Gertie ihrer Mutter gegenüber E.T. betreffend feststellt: „Mami, er kann sprechen“.

Davon, dass alle sprechen können, ging der Turing-Test ganz selbstverständlich auch aus. Anders als im Turing-Test ist das aber bei Spielbergs Außerirdischen alles andere als selbstverständlich und es ist kein ohne weiteres verständliches Sprechen. E.T. lernt, sich selbst E.T. zu nennen. Irgendwie benutzt er das Wort 'telefonieren' und den Ausdruck 'zu hause'. Die Geschwister, Elliott, Gertie und Michael geben sich die größte Mühe, bis sie verstehen, was E.T. sagen will: …
„E.T. nach hause telefonieren!“


Der Sehnsuchtsgehalt ist sicher nicht geringer als wenn Iphigenie getrennt von den Geliebten ihr Land der Griechen mit der Seele sucht. Das Setting ist anders: Süße kitschige kleine, noch weitgehend geschichtslose Kindergestalten statt antiker Helden, tragisch zerquetscht unter der Last einer die Universalgeschichte umfassenden mystischen Genealogie rund um Iphigeniens „schöne Seele“.


Was die Existenz der Seele beweist, ist bei Goethe wie bei Spielberg nichts anderes als das Bemühen um einen gestotterten Satz, um die Rettung eines Sinns aus purer Sympathie, ein Verstehen ohne die Beihilfe klarer Regeln. Die Seele lässt sich nicht more geometrico beweisen. Sie existiert im sympathischen Bemühen. Dort allerdings mit der selben Dignität wie die Träne, die für sie weint und das Innehalten, das sie erwartet.


Davon, dass es einen grundsätzlichen Unterschied machen würde, ob das Objekt solcher Zuneigung ein Mensch, ein Gott, ein Außerirdischer oder eine Maschine ist, würde ich nicht ungeprüft ausgehen.


Was meinte der Begriff Seele?


Was meinte der Begriff Seele, Anima einmal? Wir kennen den Begriff Seele aus religiösen und philosophischen Kontexten. Ich denke, man darf wohl sagen, dass die abendländischen Religionen ausnahmslos von Beginn an vermittelt durch ihre Mythen, Erzählungen und Genealogien wie auch immer unterschiedliche Verständnisrahmen für ein umfassendes Selbst-, Welt- und Sozialverständnis vorgelegt haben. Sie lieferten jeweils einen Rahmen, in den sich alles, was mit Chancen auf die Zustimmung der eigenen Zeitgenossen gesagt werden konnte, alles über Menschen, über den Gang der Welt und über das Zusammenleben in der Gemeinschaft, einzufügen hatte.

Was für Geschichten sind das, die da erzählt werden? Spannende Geschichten, die die Phantasie in die Ferne führen, an die extremsten vorstellbaren Orte, etwa nach Troja, in die Wüste, auf nie bestiegene Berge, dann wieder Geschichten über Nahelliegendes wie den verlorenen Sohn oder die Frau, die keine Kinder bekommen konnte. Geschichten, die beides verweben, das nächste mit dem Fernsten und die diese Orte durch die Wiederholung der immer gleichen Geschichten zu bekannten Orten machen, Geschichten, die das Unbekannte ordnen, die man so und nicht anders erzählen muss und die man so und nicht anders wieder hören möchte.


Wie soll man kennen, was man noch nie erlebt hat? Nicht anders als dadurch, dass man es immer wieder hört. Idealerweise aus berufenem Mund. Immer und immer wieder. Dadurch, dass Feiern und Riten seinen Inhalt bestätigen. So und nicht anders. Dadurch, dass verbindliche Regeln in der eigenen Gemeinschaft daraus begründet werden, die ganz diesseitig über Strafen und Belohnungen entscheiden und bisweilen über Leben und Tod. Im Kern jeder Religion stecken durch rituelle Wiederholungen bekannte Erzählungen, die genau dies und nichts anderes erzählen.


Natürlich kann keine Religion das Unbekannte ausrotten. Niemand selbst der Gottesfürchtigste weiß so ganz genau, was hinter der nächsten Ecke auf ihn zukommt. Heute so wenig wie vor zehntausend Jahren. Aber die Chance für böse Überraschungen ist keineswegs überall gleich groß. Und es sieht alles danach aus, als trügen die modernen Naturwissenschaften dazu bei, dass sich die Chance überrascht zu werden ständig verringert. Natürlich wissen wir heute weit genauer als jemals, was in einer einzigen lebendigen Zelle auf elementarer Ebene los ist. Da überrascht uns vieles nicht mehr. Das heißt fatalerweise keineswegs, dass sich die Überlebenschancen der Menschheit dadurch verbessert hätten. Es heißt nur, dass es eben keine Überraschung mehr wäre, wenn die Menschheit die Klimakatastrophe nicht bewältigen könnte, ohne ihr Konsumverhalten grundlegend zu verändern.


Religion überformt das Bedrohliche, Unbekannte und Neue mit dem vielfach Erzählten und absorbiert es auf diese Weise im Bekannten. Religion hat eine Dublette erfunden, dass etwas sein und gleichzeitig wahr sein kann, dass etwas an Wirklichkeit über die Tatsache hinaus gewinnt, dass es existiert, dadurch dass es erzählt und in einen Heilskontext eingebettet wird. Und dass dieses Etwas nicht einfach nur irgendetwas ist, sondern schlechterdings alles, von dem überhaupt gesprochen werden kann: Himmel, Erde, Menschen, eben wirklich alles. Das ist die ebenso hoch wirksame wie problematische Syntheseleistung der Religion. Wenn man an Gruppen denkt, die für ihren Zusammenhalt im wesentlichen diese identitätsbildende Syntheseleistung nutzen, versteht man von daher vieles vom klerikalen Fanatismus wie vom radikalen Islam. Wer würde freiwillig darauf verzichten, nachdem er sein Weltbild einmal auf diese Weise zusammengesetzt hat. Und schlimmer noch: Was würde die Gemeinde dazu sagen?


Freundschaft mit dem Chaos schließen


Die Philosophie hat sich mit der Formatierung eines ähnlich umfassenden Netzes von Gewissheiten von vorn herein entschieden schwerer getan, obwohl sie neben anderem nicht weniger als die Religion auch genau darauf abzielte.


Wenn die Welt, in der sich das sterbliche Wesen Mensch entdeckt, nicht das reinste Chaos von Zufällen sein soll, in der schutz- und grundlos jederzeit alles, was überhaupt nur geliebt wird, ohne Vorwarnung untergehen kann, motiviert das die Idee einer synthetisierenden Kraft in der Mitte von allem. In den Religionen ist das die Idee eines Gottes, der die Dinge regelt und die Grenzen des Lebens bewacht und beherrscht. Jenseits der Religionen in der Philosophie und von da aus in den heutigen Wissenschaften ist das vor allem der Gedanke, den Leibniz ganz ins Zentrum seines Denkens gestellt hat, dass nichts ohne Grund ist, der Kerngedanke, der sich zugleich als die semantische Grundlage dafür anbietet, dass es überhaupt so etwas wie Verständnis geben kann, wenn Menschen miteinander sprechen. Als das findet sich das nihil sine ratione im Begriff der Vernunft. So verstanden stammen der Gottesbegriff und der Vernunftbegriff aus der selben Quelle. Es sei zunächst dahingestellt, was das erste und was das zweite ist, das Chaos oder die Vorstellung einer synthetisierende Kraft. Bekanntlich wurde darüber viel gestritten.


Nun ist allerdings auch noch etwas mehr nötig, um einen überzeugenden – oder wollen wir sagen, einen geradezu 'beglückenden' Umgang mit dem Chaos hinzubekommen: Es ist nötig, sich immer wieder erneut der vereinigenden Kraft des Grundes, also der Kraft von etwas, das nichts weiter ist als ein Gedanke, zu vergewissern. Solche Vergewisserung nennen wir üblicherweise 'Denken'. Im Denken als solchem, ginge es um Vergewisserung im Angesicht des Chaos, würde per se ein gewisser Größenwahn stecken, wäre Denken die äußerst intime, vielleicht die aller intimste Angelegenheit, als die es immer wieder gern missverstanden wird. Das jemand das Chaotische von Existenz und Welt allein bewältigen könnte und sei es nur in Gedanken, mag vielleicht sogar möglich sein, fällt aber völlig aus der Geschichte, würde unter Menschen schlicht nicht auffallen und ganz und gar unbemerkt bleiben. Das Denken, das Gründe denkt, denkt immer schon den anderen mit und sei es auch nur im inneren Zwiegespräch. Denken mag so intim sein wie es will, sobald Gründe gedacht werden, steckt der Andere drin, ob als Gottesvorstellung oder anders, ob unter religiösem, philosophischen, heute naturwissenschaftlichem Vorzeichen oder der Verpflichtung zur intellektuellen Redlichkeit sich selbst gegenüber. Steckte der Andere in welcher Form auch immer nicht drin, dann wäre jedes Denken eine unerfüllbare Anmaßung wider das Chaos. Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir sehen das Chaos in unseren Gemeinschaften entstehen, und wir sind immer wieder erneut bemüht, es genau dort gemeinschaftlich zu bewältigen. Naturkatastrophen verwüsten Städte und nicht Wüsten. Wüsten sind unverwüstlich. Sich selbst als gänzlich vereinzelt in seinem Leid zu erleben ist extremste Ohnmachtserfahrung. Intimität als Verlassenheit ist Ohnmacht. Und gerade auch wenn wir sagen, alles hat Gründe, dann organisieren wir uns als soziale Gemeinschaft. Ginge es beim Begründen nur um äußere Natur, wäre alles Begründen sinnlos plappernde Verdopplung des mit und ohne Begründung Gleichen. Wir erleben uns beim nicht endenden Versuch gemeinschaftlicher Bewältigung nie nur bestätigt oder nur widerlegt. Das gibt uns zu denken. Oder anders gesagt: Genau darin bewegen wir uns, wenn wir denken. Der andere ist immer schon drin in unserem Denken. Die philosophisch interessante Frage ist die, ob er uns zuvorkommt ob er gleichsam da ist, bevor wir selbst da sind. Damit er irgendetwas vorfindet, wenn er sozusagen immer schon zu früh kommt, wäre es nicht schlecht, wenn wir eine 'Seele' hätten. So sieht es z.B. der Entwicklungspsychologe. Bis jetzt sind wir Menschen jedenfalls soziale Wesen. Wer weiß, ob das immer und notwendig so bleibt. Immerhin könnte man sich eine Welt vorstellen, in der uns die Maschinen, heute die artificial intelligence mehr oder weniger weit von der Last des Anderen befreien. Eine schaurige Möglichkeit! In diesem Schauer macht sich die Seele geltend. Hören wir ihr also zu. Sie spricht ja nicht nur im Schauern, sondern auch im Hochgenuss.


Die Phantasie der Freiheit: Raus aus dem Korsett der Gründe


Nicht weniger nötig ist es, mit den Lücken im Korsett der Gründe – die Suche danach nennen Philosophen 'Negativität' - kreativ umzugehen, was uns seit alters her geradezu erotisch erfreut.

Naturwissenschaftliche Forschung sucht die Lücken im Korsett der Gründe niemals. Das ist eine weitere Umschreibung dafür, dass sie den Begriff der Seele für verzichtbar hält. Sie geht vielmehr davon aus, dass es solche Lücken nicht gibt, dass es nur Lücken in unseren Wissen gibt, aber keine in den Gründen selbst. Deshalb sagt Heidegger, dass Wissenschaftler nicht denken. Mit dieser einigermaßen missverständlichen, durchaus unfreundlichen und sturzarroganten Bemerkung hat er streng genommen Recht. Naturwissenschaftler denken im Sinne philosophischer Negativität wirklich nicht.

Wir müssen und mussten uns immer schon mit dem Chaos ein Stück weit anfreunden. Das ist wie nicht anders zu erwarten ein ständiges Ringen. Und es ist die Form von Ringkampf, vielleicht die einzige, bei der sich Philosophie und Religion ziemlich sicher unterscheiden lassen, obwohl die Philosophie zweifellos ganz zentrale ihrer Begriffe - vornweg den der 'Wahrheit' – aus der Religion herausgeschält hat und es sicher unfair ist zu behaupten, das sachlich kategoriale Unterscheiden sei mit den Vorsokratikern und so recht erst mit Aristoteles in die Welt gekommen, als seien Religionsstifter zu blöd dazu gewesen, ihre Völker und Gefolgschaften mit verlässlichen Unterscheidungen zu überzeugen.


Philosophie ist nun allerdings einzigartig in der Art, wie sie Chaos reflektiert. Religion stellt dem Chaos, das sich geltend macht, jederzeit den Gottesbegriff in den Weg. Wer diesen Rigorismus nicht besonders schätzt, kann heute noch eine geradezu diebische Freude bei der Lektüre von Schellings Freiheitsschrift2 entwickeln, der das Gottvertrauen mit den Mitteln der Philosophie seiner Zeit auseinandergenommen hat und nach dem dunklen Grund Gottes in sich selbst gefragt hat. In solcher Flasche blubbert das Chaos. Was für eine Glanzstunde der romantischen Philosophie!

Die Naturwissenschaften variieren das Verfahren der Religion, wenn es um die Gewohnheit geht, den Blick auf das Chaos zu verstellen. Verkorkt der Gottesgedanke das Chaos im Gefäß der Religion wie eine Geschmacksnuance im Wein, die ihm idealerweise charakteristische Tiefe gibt, so parkt das Phantasma des lückenlosen Grundes Chaos innerhalb moderner Wissensschaftsgemein­schaf­ten als ein uninformatives Inputrauschen, zumindest solange, bis die Fähigkeit der infiniten Aufblähung der binären Differenz von Null und Eins, ja und nein, über den überschaubaren Zoo der aristotelischen Kategorien bis hin zur vieltausendfach-dimensionalen Differenzierung, mit der neuronale Netze heute arbeiten, dann doch ein entscheidendes neues Muster zeigt: Au Scheiße! Das war kein bedeutungsloses Inputrauschen, das war tödlicher Lungenkrebs.


Nun also die 'Seele'!


„SOKRATES: Unser Leib, wollen wir nicht sagen, der habe eine Seele? PROTARCHOS: Offenbar wollen wir das. (…)
SOKRATES: Weisheit und Vernunft aber können doch ohne Seele unmöglich sein.
PROTARCHOS: Freilich nicht.“3

Da ist man sich aber bemerkenswert schnell einig!


Zu allererst: Es geht dabei um Leben, um prekäres Leben, um das, was Lebendiges von Totem unterscheidet. Denn das ist die Seele. Anima ist Lebensatem. Lebendige Körper sind demnach beseelt. Das ist die verbreitete Vorstellung. Für Tales ist die psychē sogar Bewegungsprinzip in der gesamten Natur. Laut Tales sind nicht nur Menschen beseelt, sondern auch Magneten. Für andere Denker, Descartes ist dafür berühmt, sind unter den Lebewesen nur die Menschen beseelt, nicht aber die Tiere. Aristoteles hätte anders unterschieden. Für Aristoteles kommen die grundlegenden Seelenvermögen wie Ernährung, Wachstum und Fortpflanzung allen Lebewesen zu, Wahrnehmung, Bewegung und zielgerichtetes Streben auch den Tieren und nur das Denken allein dem Menschen. Aristoteles klingt insofern fast schon wie ein moderner Psychologe.

Manchmal wird die Seele als ein stoffliches Etwas betrachtet, mal als feinstofflich. Demokrit stellt sich Seelenatome vor, die der Mensch bei jedem Atemzug ein- und wieder ausatmet, als einen Stoffwechsel, ohne den er nicht leben könnte. Andere wieder sprechen von etwas rein Geistigem, mal als in sich einheitlich, mal als vielfältig und vielgestaltig, z.B. aufgeteilt in drei Seelenteile bei Platon, einen denkenden, einen begehrenden und einen muthaften, zwischen denen es zu allen möglichen Konflikten kommt. Mal wird die Seele als sterblich gedacht wie bei Aristoteles, mal als unsterblich wie bei Platon. Mal trennt sie sich im Tod vom Körper, manchmal bedarf es nahrhafter Grabbeigaben, damit sie es in die Ewigkeit schafft. Manchmal stirbt die Seele mit dem Körper zusammen. Manchmal wird die Verbindung der Seele mit dem Körper als großes Unglück aufgefasst und der Körper als Gefängnis der Seele, die sonst von keinem Leid belastet wäre.

Und wo genau ist die Seele lokalisiert? Die denkende Seele nach Platon im Kopf, die begehrende zwischen den Schenkeln – wo auch anders – die muthafte im Herzen oder vielleicht doch in der Zirbeldrüse (so Descartes). Nein, doch allesamt im Herzen, so Aristoteles.

Viel davon kreist um die Frage, ob es denn auch so etwas wie ein nicht prekäres, nicht von Leid und Tod bedrohtes Leben geben könne und wie das zu denken und unter den Menschen zu kommunizieren sei. Vielleicht ein körperloses, rein geistiges Leben. Wird die Seele wie bei Platon oder im Christentum mit moralisch zu bewertenden Entscheidungen der Menschen verbunden, trifft man auf die schuldbeladene Seele und man kann die Frage stellen: Was tust du eigentlich für das Wohl deiner Seele und eben nicht nur für dein leibliches Wohl? Und, was wirkmächtig geworden ist, es gelingt eine grundlegende Identifikation. Der Mensch, das ist jenseits all seiner empirischen Biologie seine transzendentale, schuldbeladene oder auch 'schöne' Seele.


Zwei Richtungen in denen nach der Seele gefragt wird


So nebeneinander gestellt, so aus dem Kontext gerissen wirken die Aussagen über die Seele widersprüchlich und beliebig. Was könnte der jeweilige Kontexte gewesen sein, in dem die jeweilige Seelenvorstellung so etwas wie Plausibilität hatte? Was hat sich – setzen wir die Frage gleich hoch an, ein Platon eigentlich dabei gedacht, die Seele ewig zu nennen, sie in Seelenteile zu zergliedern und die Seelenteilen dann miteinander auf ewig friedlos miteinander streiten zu lassen?


Was hat sich Platon dabei gedacht? Solch eine Frage ist unter Philosophen nicht gerade risikolos. Wenn jemand als Denker par excellence verklärt und als jemand gesehen wird, der Gedankenkonsistenz sozusagen überhaupt erfunden haben, dann sind das Platon und Aristoteles. Man wird als Philosoph aufgefordert, zum Philologen zu werden und aus der nie erschöpften Goldader ihres Denkens zu schürfen. Kaum etwas ist unter Philosophen beliebter. Philosophie scheint nur als Philologie möglich. Werde Platon-Philologe, lies Aristoteles, vertiefe dich bis auf den Grund, auf den bekanntlich immer ein Hund gemalt ist, in Hegels Texte! Damit wurde man Generationen lang deutscher Philosophieprofessor.

Es ist ziemlich naiv zu unterstellen, dass es gedankliche Konsistenz bei den Großen des Fachs notwendigerweise geben muss. Noch einmal: wenn das alles so konsistent wäre was uns Philosophen seit vielen Generationen vorlegen, warum muss es dann ständig revidiert werden? Sucht sie nicht ebenso nach Gesetzen mit möglichst langer Halbwertzeit wie die Naturwissenschaften? Philosophen versichern uns das doch immer wieder. Vor allem die Logiker unter ihnen.

Im Gegenteil besteht Philosophie in der Offenhaltung einer nie endenden Suche danach. Ein zentraler Aspekt der Philosophie: Sie ist ständig damit beschäftigt, die Überwucherung des Denkens mit Regeln aufzuberechen. Sie öffnet das erstarrte Denken wie ein Eisbrecher das Packeis.


Pathetisch gesagt sind die großen Denker unter den Philosophen nicht deshalb groß, weil ihr Denken so ungeheuer konsistent ist. Genau in diese Richtung hat Adorno seinerzeit virtuos zu demonstrieren versucht, dass philosophische Begriffe nie etwas anderes als Problemtitel sein können, wenn an ihnen etwas dran ist.

Bei den so ganz unterschiedlichen theoretischen Konzepten über die Seele sieht man im einzelnen sehr gut, dass zwei verschiedene Anforderungen an die sprachliche Ausdifferenzierung des Begriffs gestellt werden. Der eine Ast der Bestimmungen sucht nach Verortungen. Wo sitzt die Seele? Stirbt sie mit dem Leben oder nicht? Welche abgrenzbaren Leistungen erbringt die Seele? Das ist der naturphilosophische Aspekt, jener Aspekt, der uns heute moderner vorkommt, weil Psychologie, Hirnforschung und Biologie seine modernen Nachkommen sind.

Dann gibt es aber auch noch die andere Fragerichtung, die darauf zielt, etwas nicht zu verlieren, dass naturphilosophisch verlorengeht. Da hier Begriffe wie Ewigkeit und Unsterblichkeit ins Spiel kommen, hat man diese Fragerichtung als transzendentale der anderen, der bloß empirischen gegenübergestellt. Die Naturwissenschaften haben das zum Anlass genommen, den Begriff der Seele für verzichtbar zu erklären.


Greifen wir kurz vor auf die Frage, ob künstliche Intelligenz möglicherweise irgendwann 'denken' kann. Nach naturwissenschaftlichen Denken wäre diese Frage also vollständig anhand naturwissenschaftlicher und empirischer psychologischer und sozialwissenschaftlicher Kriterien zu entscheiden. Halten wir das fest.


Monismus und Dualismus für philosophische Taschenspieler


Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass sich das Begriffspaar empirisch/transzendental oder auch endlich/ewig oder Geist/Materie einem Kurzschluss verdankt.


Denn zunächst geht es bei der Gegenrichtung der Ausdifferenzierung des Begriffs 'Seele' darum, festzuhalten, was der naturphilosophische Zugang zu ihr nicht festzuhalten in der Lage ist und was verloren ginge, verzichtete man auf die Differenz.

Das Land der Griechen mit der Psyche suchend“.

Das Land der Griechen mit der Seele suchend“.


Heraklit: „Der Seele Grenzen kannst du durchwandernd nicht ausfindig machen, auch wenn du jeden Weg abschrittest, einen so tiefen Logos hat sie.“4


Diese Differenz ist durchaus ausdrückbar. Die Dichtung, die Künste und selbst ein so konsumierbarer Streifen wie E.T. tut das ja. Aber sie ist nach wie vor nicht ausdrückbar in Form naturwissenschaftlicher Verortungen und statistischer Relationen. Philosophiegeschichtlich und religionsgeschichtlich wurde jahrhundertelang der Differenzierungsschematismus empirisch / transzendental erarbeitet und pausenlos bemüht, aber als Folge des Bedürfnisses etwas festzuhalten, das empirisch nicht abbildbar ist. Und empirisch, d.h. mit den Denk- und Beobachtungswerk­zeugen, die entscheidend dafür sind, was in den Bereich des Empirischen fällt. Und erst durch ständige öffentliche Wiederholung sah es so aus, als sei das Transzendentale die notwendige Voraussetzung, festzuhalten, dass etwas und was genau der Empirie möglicherweise fehlt. Ein Mechanismus, wie wir ihn sonst aus Religionen kennen, in denen der Ritus beglaubigend wirkt.


Was wäre demnach der Problemkreis, den der Begriff der Seele festhält und den ob bewusst oder unwillentlich jeder adressiert, der eine Frage stellt wie: 'Kann KI denken?', 'Kann KI ihrer selbst bewusst sein?' oder 'Hat KI eine Seele?'

Im Anschluss daran stellt sich unweigerlich die weitere, praktisch und empirisch relevante Frage: 'Kann eine möglicherweise selbstbewusste KI Rechte beanspruchen, die sich eventuell aus der Würde ableiten würden, die sich damit hat?'


Die Ableitung von Rechten aus Transzendentalien ist für uns nichts Ungewöhnliches. In der Begründung von Grundrechten aus dem Begriff der Menschenwürde argumentiert das Grundgesetz genau so.


Will man verstehen, was wir da eigentlich anstellen, wenn wir die Frage nach der Seele stellen, zumal nach der Seele der KI, müssen wir die Ebene der Philosophie des Geistes, oder sagen wir bescheidener dessen, was heute davon noch übrig ist, wenigstens durchstreifen. Denn das wäre in etwa das Feld, das für sich beansprucht, nachvollziehbare Ausdifferenzierungen des Seelebegriffs bieten zu können. Wir finden, dass Seele und Bewusstsein mehr oder weniger synonym gebraucht werden.

Der Begriff Bewusstsein taucht also zweimal auf. Einmal naturwissenschaftlich im Rahmen der Kognitionswissenschaften, Psychologie und Hirnforschung.


Bewusstsein, neurologisch


Aus neurologischer Sicht wird Bewusstsein klassischerweise so beschrieben, dass es aus Gehirnsystemen hervorgeht, die den Inhalt des Bewusstseins bilden und durch verschiedene Systeme reguliert werden, die die Ebene des Bewusstseins steuern5. Der Bewusstseinsinhalt umfasst alle verschiedenen Arten von Informationen, die von hierarchisch organisierten sensorischen, motorischen, emotionalen und Gedächtnissystemen im Gehirn verarbeitet werden. Die Neurowissenschaften versuchen die normale Funktionsweise dieser Systeme ebenso zu verstehen wie selektive Defizite von Bewusstseinsinhalten, wie der Verlust eines Teils des Gesichtsfeldes oder eine plötzliche Beeinträchtigung der gesprochenen Sprache, sind das Hauptthema der klinischen Neurologie. Der Bewusstseinsgrad kann jedoch alle diese spezifischen Funktionen beeinflussen. Der Grad des Bewusstseins wird durch spezielle kortikale und subkortikale Systeme gesteuert, die den Grad der Wachsamkeit, Aufmerksamkeit und des Bewusstseins bestimmen. Damit sinnvolle Reaktionen erfolgen können, ist eine grundlegende Wachsamkeit (Erregung, Wachheit) erforderlich. Aufmerksamkeit ermöglicht die Verarbeitung selektiver oder anhaltender Informationen. Schließlich ist Bewusstsein die Fähigkeit, Erfahrungen zu sammeln, über die später berichtet werden kann. In Analogie zu anderen kortikal-subkortikalen Systemen wie dem sensorischen, motorischen oder limbischen System können die Gehirnnetzwerke, die der Regulierung des Bewusstseinsniveaus dienen, als „Bewusstseinssystem“ bezeichnet werden.


Es umfasst ein Vielfalt vernetzter kortikaler und subkortikaler Strukturen, die das Bewusstseinsniveau regulieren, einschließlich des Thalamus und der subkortikalen Erregungskerne, die über Neurotransmitter wirken. Die Neurowissenschaften befassen sich dabei auch zentral mit kortikalen Netzwerke zur Steuerung des Wachsamkeits-, Aufmerksamkeits- und Bewusstseinsniveaus, einschließlich solcher Systeme, die bewusste Erfahrungen auswählen und in Erinnerungen kodieren.


Bewusstsein, in der Philosophie des Geistes


Der Begriff Bewusstsein taucht ein zweites Mal auf mit dem Anspruch, etwas grundsätzlich anderes und aus naturwissenschaftlichem Blickwinkel nicht Bedachtes festzuhalten. Nun aber an anderer Stelle, nicht in den Naturwissenschaften, sondern in der Philosophie des Geistes. In der Philosophie des Geistes ist der Ort dessen nach wie vor das Leib-Seele-Problem. Wenn wir dem Indiz folgend, dass Iphigenie das Land der Griechen nun einmal mit der Seele sucht und nicht mit dem Fernrohr oder der Psyche, dass da also etwas reklamiert wird, dem die Dichtung Sprache verleiht, ohne es auf den Begriff zu bringen, dass die Naturwissenschaften aber offenbar nicht ansatzweise beschreiben können, heißt das noch lange nicht, dass die Philosophie des Geistes das Eingedenken dessen besser hinbekommt und die Lücke schließt, die die Naturwissenschaften offen lassen. Diese Leistung wäre, wenn sie denn erbracht würde, aus Sicht der Philosophie des Geistes ihre Rechtfertigung als Fach.

Die Philosophie des Geistes der Gegenwart fragt also nach dem Verhältnis mentaler Zustände von Geist, Bewusstsein, Psychische und Seele zu physischen Zuständen zu Körper, Gehirn, Materiellem, Leib, dem Terrain der Naturwissenschaften. Und sie kreist dabei durchaus klassisch um Kausalbeziehungen, um Ursachen und Wirkungen mentaler Prozesse. Sie tut das, indem sie immer wieder nach dem Verhältnis von Naturkausalität und freiem Willen fragt. Kann der Geist Ursache für etwas Materielles sein?

Schauen wir, wes Geistes Kind die heutige Philosophie des Geistes ist, wenn sie sich am Leib-Seele-Problem abarbeitet. Grob drauf geschaut unterscheiden sich bekanntlich dualistische und monistische philosophische Positionen. Körper und Geist, Leib und Seele, das sind zwei verschiedene Substanzen, das wäre die dualistische Aussage. Nein, der Geist, das ist eine letztlich durch und durch materielle Angelegenheit. Oder auch: die Materie, Welt und Leben, das sind letztlich nichts als eine spezielle Form des Geistes. Bei der heutigen Vorherrschaft phsikalistisch-materialistischer Vorstellungen haben es idealistische Versionen des Monismus ebenso schwer wie dualistische.

Wenn es zwei verschiedene Substanzen sind oder sogar mehr, muss man, je nachdem, wie man sich das im einzelnen vorstellt, (vielleicht gibt es unendlich viele Substanzen, vielleicht muss jedes einzelne Seiende in der Vollständigkeit seines Seins als eigene Substanz gedacht werden) anzugeben versuchen, wie sie aufeinander einwirken, zumindest dann, wenn man darauf besteht, Wissen als die gesicherte Möglichkeit zu verstehen, die Wirklichkeit als ein Netz von Ursache-Wirkungsverhältnissen beschreiben zu können. Verzichten wir darauf, die Namen all der Denker zu nennen, die im Laufe der Philosophiegeschichte unterschiedliche Positionen in der Leib-Seele-Frage vertreten haben. Halten wir zunächst nur etwas fest, das unglaublich trivial und inhaltsleer klingt: Die Welt ist was sie ist, unabhängig davon, wie sie verstanden wird. Wenn sie das nicht wäre, ließe sie sich nicht beschreiben. Jede Beschreibung wäre beliebig. Spricht das nicht für eine monistische Sicht?

Und nun der zweite völlig triviale Satz: Wenn die Welt nicht per se vielfältig wäre, woher nähmen wir dann die Möglichkeit, ein differenziertes Bild von ihr zu gewinnen, das den Titel Wissen verdiente? Und was bitte sichert die Differenzen? Das klingt substanzpluralistisch.


Noch einmal: Der Informationsbegriff wurde wie die Begriffe Materie und Energie oder der vormals getrennten Naturkräfte als nicht zurückführbar gedacht und hatte damit die Bedeutung einer Substanz. Es geht dabei immer darum, etwas in seiner Einzigartigkeit festzuhalten, was sonst verlorenzugehen droht. Vor allem etwas, das für sich selbst ausdifferenziert zu werden verlangt.


Die Philosophie erlebt meines Erachtens etwas vergleichbares. Wo von Substanzvielheiten und Dualismen her gedacht wird, wird der Versuch gemacht, etwas zu fixieren, das droht, monistisch verloren zu gehen. Und wo um jeden Preis monistisch gedacht wird, da um eine Einheit als Inbegriff des Verstehens zu denken, die ihrerseits dualistisch nicht möglich zu sein scheint.

Ich sehe darin zwei Perspektiven auf etwas, von dem sich immer wieder neu herausstellen muss, ob es ontologisch das selbe ist oder nicht. Aber ich sehe darin so wenig einen Widerspruch wie zwischen dem was beispielsweise ein Jurist oder ein Ökonom tut und ein Physiker. Wer wollte einem Juristen sagen dass jede Rede über Rechtsverhältnisse mit einer Rede über die physikalischen Gegebenheiten der materiellen Welt beginnen müsste und vor allem mit einer präzisen Ableitung daraus beginnen? Der arme Jurist käme nie zum ersten Satz seines Fachs. Der Ökonom ebenso wenig.

Das wiederum heißt nicht, dass die Meinungen eines bestimmten Ökonomen oder Juristen in Bezug auf die Physik (falls er überhaupt einschlägige Meinungen hat) nicht in krassem Widerspruch zum Stand der theoretischen Physik stehen können und dass umgekehrt ein Physiker nicht möglicherweise juristisch oder ökonomisch völlig unkundig ist. Aber ich glaube nicht, dass Jurist und Physiker in zwei verschiedenen Welten leben, wenn sie auch manchmal alles daran zu setzen scheinen sind uns das glauben zu lassen.








Masseverlust


Ich verstehe zunehmend weniger, warum man vor dem Unterschied zweier dualistisch anmutender, gegensätzlicher Perspektiven ideologisch erstarren sollte. Der heutige Materialismus der Physik mit seinen beiden Grundgrößen Masse und Energie funktioniert auch längst nicht mehr so. Masse und Energie sind längst nicht mehr zwei getrennte Substanzen, sondern zwei relativistische Perspektiven der Beschreibung des selben, deren Sinn darin besteht, die Differenz beider sichtbar zu machen.

Richard Feynman konnte auf die Frage, was denn die kürzeste gehaltvolle Aussage über den physikalischen Aufbau der Welt sei, noch antworten : »Ich bin davon überzeugt, dass dies die Atomhypothese (…) wäre, die besagt, dass alle Dinge aus Atomen aufgebaut sind.«

Aber die Hauptmasse eines beliebigen Atoms besteht aus der Masse seiner Protonen und Neuronen, diese aus wiederum je drei Quarks, die aber ihrerseits nur ein Prozent der Protonen- bzw. Neuronenmasse aufweisen. Die 99% fehlende Masse 'ist' Energie eines zugrundeliegenden 'Quantenfeldes'. Dem physikalischen Materialismus geht sozusagen die Materie verloren. Das ist durchaus nichts Schlimmes, sondern der geistige Ertrag eines Differenzierungsfortschritts. Monismen haben scheinbar an sich, dass sie sich beim Ausdifferenzieren in nichts auflösen und dabei Geist entlassen. Dualismen oder Pluralismen drängen offenbar das Denken genau entgegengesetzt dazu, Vereinheitlichungen zu versuchen. Von den vier physikalischen Naturkräften Gravitation, Elektromagnetismus, schwache Wechselwirkung und starke Wechselwirkung sind inzwischen die drei Grundkräfte des gegenwärtigen Standardmodells der Elementarteilchenphysik, also alle außer der Gravitation in einer einheitlichen Theorie, der Grand Unification Theory zusammengeführt worden.

Physikalische Überlegungen haben auch durchaus noch mehr für das Leib-Seele-Problem zu bieten, wovon sie sich normalerweise notorisch zurückhalten. So gibt es etwa physikalistische Überlegungen zum Informations­gehalt physikalischer und biologischer Systeme. Eine davon, das Landauer-Prinzip, ist für die Informationsverarbeitung, für die KI und für Quantencomputer von Interesse.

Das Landauer-Prinzip ist eine 1961 von Rolf Landauer formulierte Hypothese, die die Informationstheorie mit der Thermodynamik und der statistischen Physik verknüpft. Sie besagt, dass das Löschen eines Bits an Information zwangsläufig die Abgabe einer Energie von W = kBT ln ⁡2 in Form von Wärme an die Umgebung bedeutet. (Dabei ist
k
B die Boltzmann-Konstante und T die absolute Temperatur der Umgebung.)“ 6

Information wird dabei also neben Masse und Energie als grundlegendes Bauelement der naturwissenschaftlich verständlichen Wirklichkeit aufgefasst. Löschen jedes einzelnen Bit von Information erzeugt Wärme und erzeugt Entropie. Damit erscheinen Löschvorgänge als relevante technische Grenzen.

Bevor aber an die Vereinigung getrennter Substanzen zu denken ist, kann es auf vielfältigste Weise wichtig sein zu wissen, welche Probleme etwa mit der Weitergabe von Information und der Verfügung über Informationen z.B. innerhalb sozialer Netze verbunden sind, ohne überhaupt sofort nach dem Verhältnis von, sagen wir Information und Energie oder anderen physikalischen Sachverhalten zu fragen. Qualitäten haben generell eigenen Ausdifferenzierungsbedarf. Um noch einmal Turing ins Spiel zu bringen: Wenn es im Zweiten Weltkrieg für die Engländer interessant war, die Standorte der deutschen U-Boote zu kennen, ist das eine Frage der Verfügung über bestimmte Informationen. An deren Beschaffung war Turing ja beteiligt. Dieses Interesse ist keineswegs deshalb schon reduktionistisch, weil es unterlässt, nach einer vereinheitlichten Theorie von Information und Naturkräften zu fragen. Es ist kein reduktionistisches, sondern es folgt einfach nur einem speziellen Interesse. Natürlich ist dies Interesse an Information kein Interesse um seiner selbst willen, sondern um etwas anderen willen. Ein Interesse daran, den Krieg zu gewinnen. Und dennoch ist der Informationsbegriff in diesem Fall auf nicht reduktionistische Weise substantiell, weil die Frage, ob der Krieg sich gewinnen lässt, auf die Frage der Verfügung über Information über den Gegner zugespitzt wird. So wird Information als kriegstaktische Substanz verstanden, sie sei physikalisch oder philosophisch, was immer sie wolle.



Naturnotwendigkeit und Freiheit, kein Widerspruch



Ich dekliniere das hier etwas penetrant, weil die meines Erachtens ziemlich naheliegende Lösung der Frage des vermeintlich unlösbaren Widerspruchs von Naturnotwendigkeit und Freiheit im Zentrum der Philosophie des Geistes recht ähnlich liegt.

Warum soll des Menschen Wille unfrei sein, nur weil er den Naturgesetzen unterliegt? Ohne Bindung an die Naturgesetze könnte von orientierendem Wissen über die Natur keine Rede sein. Die Bindung an Naturgesetze kann insofern als absolut befreiend verstanden werden. Andernfalls gäb's nur blindes Rumgestocher im Chaos.

Andererseits: Was hält der Hinweis auf die Unfreiheit des Menschen angesichts der unüberwindbaren Abhängigkeit von der Natur und seiner Unterwerfung unter die Naturgesetze fest? Woran erinnert sich dieser Hinweis? Offenbar an all die Leiden, die Müh und Not, die millionenfach eben auch mit dieser Abhängigkeit verbunden sind.

Ist eine der beiden Perspektiven unberechtigt? Nein.

Was hindert, sie zusammenzudenken und statt dessen so zu tun, als stehe man vor einem logischen Widerspruch? Nichts.

Ganz im Gegenteil. Falsch wird’s, wo eine der beiden Seiten unterschlagen wird, wo die Welt als pure Möglichkeit beworben oder als reinstes Jammertal verteufelt wird. Aber ebenso falsch und im schlechten Sinn reduktionistisch ist es zu behaupten, die Frage nach Freiheit und Unfreiheit selbst sei irrelevant.

Damit tritt übrigens nicht eine dreiwertige Logik an die Stelle einer binären, sondern man hat es mit zwei Unausdrücklichkeiten zu tun. Zu sagen der Mensch sei frei ist keine logische These, die auf ihre Antithese wartet, sondern sozusagen eine Art Post-It im Buch des Lebens, etwas das nur Gehalt hat, wenn man sehr viel differenzierter angibt, was das im und für den einzelnen heißt. Wenn es zu Widersprüchen kommt, dann konkret. Aber wir sind gewohnt, im Freiheitsbegriff ein metaphysisches Postulat zu erkennen und die Banneraufschrift eines Rousseau. Als das giert die Freiheit gerade nach metaphysischem Widerspruch.



Damit hätten wir jetzt endlich den Hintergrund beisammen, um die Ausgangsfrage stellen zu können, welche Voraussetzungen gegeben sein müssten, wenn Künstliche Intelligenz eine Seele haben und also denken können sollte.

Oberste und erste Voraussetzung dabei: Künstliche Intelligenz müsste leben. Ihr müsste sozusagen der Lebensatem, die Seele eingehaucht sein. Also nein... KI denkt nicht?

Fragen wir lieber, was das heißen würde. Wer könnte die Frage überhaupt entscheiden, ob eine Maschine lebt oder nicht? Da kommen einige zusammen, die Biologen als Fachleute für's Lebendige stellvertretend für die Naturwissenschaften, die Philosophen als Fachleute für Negativität, Thoas, der König der Taurier, der Iphigenie gewähren lässt und die Kinder, die es fertigbringen E.T. zu verstehen. Diese alle mindestens.



Setzt Denken-können nicht Leben voraus?



Was würde der heutige Biologe sagen? Wie seinerzeit Feynman für die Physik auf das Atom verwies, so verweist die heutige Biologie auf die lebende Zelle als kleinste Lebensform und sozusagen als das Atom der Biologie, so nennt es etwa Paul Nurse.7

Aber damit stünde hinter allem Leben eine Kohlenstoffchemie. Man würde sich darauf festlegen. Bisher kennen wir nur Leben, das auf DNA und RNA basiert. Maschinelle Informationsverarbeitung ist bekanntlich bisher Silizium-basiert. Es ist aber die Kohlenstoff­chemie, die eine äußere Membran, innere Zellkompartimente und biokatalytisch wirksame Substanzen aufweist. Die chemisch zwar eng verwandte, aber bindungsmäßig erheblich weniger reichgestaltige Siliziumchemie kann wahrscheinlich nichts bieten, das mit den Leistungen von Proteinen in der Zelle vergleichbar wäre.

Die typischen Lebensfähigkeiten, Energie- und Stoffwechsel, die Wechselwirkung des Lebewesens mit seiner Umwelt, die Fähigkeit zu Selbstregulation, zur Homöostase wären auf andere Art zu gewährleisten. Dass grundsätzlich eine Reizbarkeit datenverarbeitender Maschinen gegeben ist, die ihnen erlaubt, auf chemische oder physikalische Änderungen in ihrer Umwelt zu reagieren dürfte unstrittig sein. Formen der Fortpflanzung im Sinne der Selbstreproduktion wären durchaus denkbar wobei Informationen also eine Art Erbgut an Nachfolgemodelle übergeben wird, scheint auch nicht prinzipiell ausgeschlossen. KI scheint darüber hinaus auch die Fähigkeit der evolutionären Weiterentwicklung zu zeigen.

Auf dieser Ebene scheint die Frage des Eigenlebens von Maschinen ein rein technisches Problem zu sein. Das würde verbieten, die Frage ob sich Maschinen irgendwann zum Leben erwecken lassen, von vorn herein zu verneinen. Es sei denn, wir könnten auf Naturgesetze verweisen, die genau das schlechterdings ausschließen. Wenn etwas nicht funktioniert, muss das nicht daran liegen, dass es unmöglich ist. Es kann auch einfach eine geeignete Technik fehlen. Sind denn einschlägige technisch unüberschreitbare Grenzen absehbar?



Physikalische Grenzen



Bestimmte Grenzen werden beim Vergleich der informationsverarbeitenden Leistung menschlicher Gehirne mit den leistungsfähigsten heutigen Computern sichtbar. Aber das sind Grenzen der gegenwärtigen nur begrenzt parallelen Datenverarbeitung in bestehenden Rechner-Architekturen, also Grenzen aktueller Techniken, die absehbar auf Kollisionskurs mit den Naturgesetzen kommen, wenn man damit die Leistung ganzer menschlicher Gehirne modellieren wollte.



Das menschliche Gehirn hat ein Volumen von ca. 1½ Liter und beinhaltet rund100 Milliarden Neuronen. Es macht nur etwa 2% der Masse des menschlichen Körpers aus, verbraucht jedoch fast ein Drittel der Energie, die wir unserem Körper täglich zuführen, aber es ist mit einer Leistungsaufnahme zwischen maximal 15 und 20 Watt um den Faktor > 500.000 sparsamer als der Stand 2023 weltweit größte Supercomputer Frontier mit einer Leistung von 1,1 exaflops (1,1* 1018 flops) und einem Stromverbrauch von 22 Megawatt. (Zum Vergleich: Ein modernes Kernkraftwerk hat eine Bruttoleistung von rund 1400 Megawatt.)

Jede Hirnzelle ist über eine Art Verkabelung mit einigen 1000, im Einzelfall mit bis einigen 10.000 weiteren Neuronen verbunden. Ein solches Kabel (Axon) verzweigt sich mehrfach und trägt an jedem Ende eine Synapse, die sich jeweils mit einer anderen Hirnzelle verbindet.

Die Gesamtzahl dieser Verbindungen beträgt bis zu einer Billiarde bei einem Erwachsenen Menschen. Die Reizleitung über das Nervensystem ist mit ca. 100 m/sek verglichen mit der Leitungsgeschwindigkeit im Computer (abhängig vom Leitermedium > 70% der Lichtgeschwindigkeit) extrem langsam, weil sie elektro-chemisch und nicht rein elektrisch erfolgt. Die Reizverarbeitung ist allerdings im Vergleich mit allen bisher entwickelten Computer­architekturen extrem parallel und extrem fehlertollerant, sodass nicht abschätzbar ist, ob und wie viele Gehirne in Aktion sich überhaupt selbst mit dem leistungsstärksten Supercomputer der Welt emulieren ließen. Wenn es ein einziges wäre, wäre das viel. Man würde demnach überschlägig die Energie eines gesamten Atomkraftwerks verbrauchen, um gerade einmal eine Kompanie künstliche Gehirne zu betreiben.

Das wird es also auf gar keine Fall sein, was der künstlichen Intelligenz Leben einhaucht.

Kein Wunder, dass heutige Supercomputer die Aufgabe haben, Massendaten aller Art zu verarbeiten, Wetterdaten, Teilchenkollisionen, KI-Anwendungen, aber sicher nicht mehr die Aufgabe, komplette Gehirne, Bewusstsein und Seele zu simulieren.

Im Mittelpunkt des human brain project, dem Flagschiff-Projekt der Europäischen Union, mit dem Europa zur „Supermacht des Wissens“ werden sollte, stand 2013 eine große Vision.


 „Our mission ist to build a detailed realistic computer model oft the human brain.“

So der Hirnforscher Henry Makram von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne. Von dem 'digitalen Zwilling', den das human brain project vor 10 Jahren projektiert hatte und das sich die EU unterdessen deutlich mehr als eine halbe Milliarde Euro hat kosten lassen, ist bei Abschluss des Projekts 2023 nichts zu sehen.8 Das Projekt ist gefloppt. Die Protagonisten, die die Forschungsmittel ausgegeben haben, sehen das naturgemäß nicht so. Sie verweisen auf viele wertvolle Erkenntnisse und einen digitalen Hirnatlas a la Google World.9

Die Konstruktion eines künstlichen Gehirns mit einem Leistungsumfang, die dem menschlichen Gehirn vergleichbar wäre, scheitert bislang daran, dass wir weder genug Grundlagenwissen darüber haben, wie das beschaffen ist, was nachgebildet werden soll, noch haben wir auch nur ansatzweise die technischen Mittel dazu. Denn wir wissen, dass geeignete technische Mittel nicht durch Hochskalierung bestehender Rechner­architekturen realisiert werden können.

Soweit die Sicht auf die naturwissenschaftlich-technische Seite.



Künstliche Intelligenz und Menschenschwarm


Eine weitere Überlegung dürfte interessant sein:
da stehen also ein paar tausend Großcomputer, die bestimmte für die Menschen interessante Aufgaben mithilfe von gigantischer Rechenleistung und künstliche Intelligenz um viele Klassen besser als Menschen erledigen, und es sieht ganz danach aus als sei diese Leistung über das Internet ziemlich beliebig fein an die menschlichen Konsumenten dieser Leistungen verteilbar. Diese Computer würden auch nicht ansatzweise eigenes Leben entfalten. Sie würden nicht denken.

Sie würden letztlich betrieben, genutzt und weiterentwickelt von den Milliarden Menschen, die den Informationsnektar der Rechenanlagen absaugen und die möglicherweise ihr eigenes Leben ohne diesen Konsum nicht mehr in den Griff bekommen. Das war auch ohne KI schon der Fall etwa bei unserer Abhängigkeit von der Finanzindustrie.

Diese immer abhängigeren Menschen bekommen es allerdings ihrerseits hin, von wenigen Kilokalorien täglich zu leben und nicht wie eine Megarechenanlage bei Spitzenlast ein volles Prozent der Leistung eines Atomkraftwerks zu brauchen, die dann entsprechend der simulierte Computerzombi den solche iene Anlage möglicherweise modellieren könnte, brauchen würde, um am nächsten Morgen wieder aufzuwachen.

Der Einzelne, der lebendige Mensch, dem im Grunde wenige Brötchen zum Überleben reichen, mag vernunftbegabt sein, und man mag die Vernunft so hoch schätzen wie Kant, der Einzelne entscheidet allerdings nicht allein über die Rolle, die er dem Digitalkomplex zubilligen möchte und über das Maß, in dem er sich von deren neuen Leistungen abhängig machen möchte. Auch das ist nichts besonders Neues. Das Problem hatten wir bereits im gesamten Industriezeitalter.

Es sieht alles danach aus als ob es der Schwarm der Menschen ist, der über seine Zukunft entscheidet und nicht der einzelne Mensch. Die Kantische Vernunft ist sozusagen die Schwarmintelligenz der Menschheit, wenn auch in einer sehr komplexen Form. Sie ist die Fähigkeit, die jedem einzelnen erlaubt, auf Kurs - oder sagen wir besser: im Diskurs - zu bleiben und nicht zu stark mit seinen Nachbarn zu kollidieren. Es sieht alles danach aus, als ob es ein einheitliches Subjekt, auch ein politisches Subjekt, das vernünftig abwägt und seine Zukunft entscheidet, schlichtweg nicht gibt. Es gibt kein nicht-partikulares Subekt, auch nicht in Form einer Regierung oder der Vereinten Nationen, das die Kantische Erwartung in die Vernunft verwirklcihen könnte. Deshalb wäre es uns eigentlich ganz lieb, wenn eine superintelligente Maschine zum Leben erwachte und das Problem für uns löste und mithin endlich eine Instanz bereitstünde, die die Rolle solch eines Hegelschen Weltgeistes übernähme. Die superintelligente Maschine könnte doch zumindest die Gesetze unserer Schwarmintelligenz, die wir nur ansatzweise durchschauen, en detail managen. Das ist kein wirklich neuer Traum. Wenn man sich die Rechenpower des Computerequipments vergegenwärtigt, mit dem wir lebendigen Brötchenesser uns heute schon umgeben, dann kann man den Eindruck haben, dass wir das aus Sehnsucht nach einem vernünftigen Überblick über alles tun, zu dem wir selbst als Schwarm nicht in der Lage sind, aus der Sehnsucht nach einer nicht nur entscheidenden (alle entscheiden und die Regierungen wiederum für alle, an einem Mangel an Entscheidern liegt es nicht), sondern gleichzeitig auch vernünftigen (= am Leben orientierten) Zentralperspektive. Das könnte des Pudels Kern sein, der Kern der Frage, ob KI denken kann, ob wir in einer bestimmten dringenden Hinsicht mit dem Phantasma liebäugeln, dass sie es können sollte.

Wir schweifen merklich ab auf das Terrain der Philosophie. Begeben wir uns ein paar Schritte weiter darauf.



Durch die Wüste der Philosophie des Geistes



Der Blick auf den Beitrag der Philosophie des Geistes heutigen Zuschnitts ist ebenfalls ernüchternd.

Generell fällt mir auf: An zentralen Stellen der angelsächsischen Diskussion stoßen wir auf Argumente, in denen es a la Descartes um Vorstellbarkeit geht, nunmehr um die von Doppelgängern, sog. Zombies, die physikalisch identisch, jedoch mental verschieden sind. Solche Vorstellungen kranken durchgängig in der Regel daran, dass Seiendes physikalisch niemals absolut identisch verdoppelbar ist. Jede Verdoppelung stößt allein schon an quantenmechanische Grenzen.

Das nächste, was mir auffällt, ist folgende Verwechslung: Wenn behauptet wird, dass in Aussagen, die für sich beanspruchen können, Wissen zu sein, immer entweder Types oder Token Gegenstand sind, also von bestimmten Typen mit gemeinsamen Merkmalen oder von Token die Rede ist, als Einzelexemplaren von Merkmalsträgern, dann wird gern unterschlagen, dass Seiendes niemals darin aufgeht, Träger einer endlichen Anzahl bestimmter Eigenschaften zu sein und mithin auch nicht darin aufgeht, Typen zu repräsentieren oder überhaupt abschließend in seinem Sein bestimmbar zu sein. Seiendes ist nie nur das, was wir von ihm wissen. Das allerdings kann man durchaus wissen.10

Der Trick, um das doch möglich zu machen, besteht im Wechsel von einer höheren Theorie in eine elementarere, niedrigere. Der Charme oder wenn man will das Zwingende der modernen Physik besteht darin, dass deren kleinste Konstituentien nur noch sehr wenige unterscheidbare Eigenschaften haben, wie etwa Masse, Energie und Information. Das Beispiel, auf das an dieser Stelle immer wieder hingewiesen wird, angenommen, eine Keramik wird gefunden, ein Archäologie bestimmt ihr Alter aufgrund seiner sehr weitreichenden Kenntnis von handwerklichen Möglichkeiten und der kulturellen Gegebenheiten an zahlreichen Eigenschaften der ihm vorliegenden Keramik, kommt jedoch zu einer abweichenden Altersangabe von einer C14-Analyse. Die C1-Analse wird geprüft. Es werden keine Fehler gefunden. Die Argumente des Archäologen werden geprüft. Auch hier ist alles stimmig. Der Archäologe hat sehr viele gute Argument, der Physiker hat sehr wenige. Wem sollte man glauben. Das Problem des Archäologen ist, dass es unmöglich ist, alles über ein besonderes einzelnes Ding zu wissen, wenn die Zahl möglicher Eigenschaften unabschließbar ist. Selbst wenn es einen Katalog sämtlicher aus Sicht der Archäologie nach deren gegenwärtigem Stand relevanten Eigenschafte gäbe, wäre es unmöglich zu behaupten, dass dieser Katalog jemals vollständig wäre. Die Keramik geht nicht auf darin Token zu sein. Die Physik hat dieses Problem nicht auf der Ebene der Keramik, sondern wenn, dann auf der Ebene der Messung. Außerdem würde der Katalog seinerseits inzwischen auch die C14-Methode enthalten.

Und man hätte ziemlich gute Gründe, der C14-Methode und nicht dem Archäologen zu glauben.

Aber wenn sich diese Bestätigungsform generalisieren ließe, verschwände so ziemlich jeder Sinn aus der Geschichte und die Welt würde unter der Wahrheitsfrage zum reinsten Quantenflackern, dabei will man eigentlich wissen, wie es mit dem Sinn und der Mannigfaltigkeit weitergeht.



Wenn die Vorstellung einer physikalischen Welt als 'geschlossener Kausalität' nicht mehr ernsthaft reflektiert wird, so wenig wie die Vorstellung und der Traum von einer logisch geschlossenen und völlig konsistenten Rationalität, wenn sie einfach als sakrosankt vorausgesetzt wird, dann bleiben auf diese Art allerorten Widersprüche aufgebaut, die je detaillierter man hinschaut, gar keine sind, wie etwa der Widerspruch von Freiheit und Kausalität, Dualismus und Monismus, Körper und Geist Leib und Seele.

Manchmal ist es eben absolut notwendig, mit Descartes zu sagen, der Mensch ist wesentlich Seele, sein Leib ist purer Zufall. Das widerspricht nicht im Geringsten der Vorstellung, dass wir Menschen bis in unsere intimsten mentalen Erlebnisgehalte hinein physische Wesen sind und zu denken, dass all diese Gehalte bis auf den letzten Rest Produkte unserer Physis sind. Und sollten wir gleichzeitig meinen, der Mensch sei doch letztlich ein geistiges Wesen, alles sogar die ganze Welt sei Geist, wird ihm gerade so mancher theoretische Physiker heimlich zustimmen der nichts anderes tut, als den ganzen Tag das Gegenteil zu beweisen.

„Die Philosophie als Regie der Rationalität an ihren Grenzen“ (Dieter Henrich)? Regie der Rationalität, der Philosoph als Regisseur und demnach Rationalität als eine Art Inszenierung? Von welchem Affentheater eigentlich? Das war auch vor 50 Jahren schon gängige Hybris. Philosophie als Regie ist Quatsch. Philosophie als Negativität gegen die Enge von Ordnungen und schon eher als Verlustwächter wäre ein geeigneteres Selbstverständnis.

Und was vielleicht schlimmer ist, Philosophie bleibt sehr viel weltloser als nötig. Vor einer Generation hätte man gesagt, leide unter einem „Mangel an Sein“. Sie wird sich dann weiter und weiter von Naturwissenschaften und Techniken überholen lassen, die zwar nicht all zu weit denken (Stichwort: Erderwärmung), aber uns statt dessen das Seiende in Form einer Welt technischen Lösungen liefern.



Mehr wäre zu sagen, sehr viel mehr z.B. über den Fluchtpunkt der Idee der Seele in seine Rolle als ideologischer Garant von Pflichten und Rechten, insbesondere als Legitimationslieferant der Grundrechte.

Zurück zu Iphigenie, schließlich haben wir mit ihr angefangen. Wer von euch hätte denn Iphigenie bei ihrer Ankunft auf Tauris erschlagen? Ganz so wie die anderen Seelenlosen, die sonst dort da immer so ankommen?



Aber das Gesagte sollte für den Anfang reichen. Jetzt fangt an, euch die Frage zu beantworten, ob Künstliche Intelligenz eine Seele haben kann. Im Gesagten steckt die Antwort drin. Zumindest meine.




Anmerkungen:


1 Turing, Alan M. 1950. Computing machinery and intelligence.

2 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit

3 Platon, Philebos (30a)

4 Hermann Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker 12 B 45

5 Plum, F., Posner, J.B., 1972. The diagnosis of stupor and coma. Contemp. Neurol. Ser. 10, 1286.

6 https://de.wikipedia.org/wiki/Landauer-Prinzip

7 Etwa: Paul Nurse, Was ist Leben?

8 „Der letzte macht das Licht aus“, das klingt im aktuellen Ausblick des human brain project „Das kommende Jahrzehnt der digitalen Gehirnforschung“ als eine vergleichsweise kleinlaute Formulierung in die Ferne gerückter langfristiger Ziele:
„Entwicklung realistischer, groß angelegter Gehirnmodelle der sensomotorischen Funktion sowie der kognitiven, wahrnehmungsbezogenen und sprachlichen Funktion
Bewertung neuer Lern- und Adaptivitätsmodelle in biologischen Gehirnen auf ihr Potenzial,
grundlegend neue Konzepte und Algorithmen für maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz sowie neuartige technische Anwendungen (z. B. neue Materialien, künstliches Leben, Ersatz und Verbesserung der Gehirnfunktion) zu ermöglichen.
Entwicklung hocheffizienter und echtzeitfähiger, vom Gehirn abgeleiteter neuromorpher Steuerungssysteme für Roboter, die in der Lage sind, online zu lernen und mit reichhaltigen und komplexen Umgebungen zu interagieren
Aufbau dynamischer anatomischer Gehirnatlanten auf der Grundlage neurorobotischer Experimente, die die Echtzeitbeobachtung neuronaler Aktivität in einem Gehirnbereich ermöglichen, die als Reaktion auf einen bestimmten auf den Körper ausgeübten Reiz auftritt.
Erstellung datengesteuerter Entwicklungs- und Alterungsmodelle, Anwendung dieser Modelle auf die Hirnmedizin bei Kindern und Jugendlichen und Bereitstellung dieser Algorithmen für die Industrie zur Nachahmung von Lernen, Entwicklung und Selbstreparatur sowie zur Anwendung detaillierter anatomischer und physiologischer Modelle in der Hirnmedizin (z. B. Vorbereitung von Gehirnoperationen, Diagnostik, Überwachung der Rehabilitation) und der gemeinsamen Entwicklung menschlicher Zwillinge
Anwendung vereinfachter, aber einigermaßen realistischer Zwillinge für unterschiedliche Funktionssysteme in der Hirnmedizin, mit der Möglichkeit, sie on-the-fly mit Informationen aus realen Sensordaten zu aktualisieren, z. B. während der Diagnostik, Rehabilitation oder in akuten Situationen wie Operationen usw Intensivstation
Entwicklung kombinierter Multiorganmodelle, die die Entstehung von Patientenzwillingen beschleunigen , indem sie Regulierungsmechanismen des Nervensystems in Bezug auf die Funktion innerer Organe und des Körpers widerspiegeln
Integration literatur-, bild- und signalbasierter Metaanalyse mit bereitzustellenden Modellen zu einer eine konsolidierten Wissensbasis
neue neurotechnologische Interventionen, die speziell auf gestörte Gehirnfunktionen abzielen
Entwicklung hocheffizienter und echtzeitfähiger, vom Gehirn abgeleiteter neuromorpher Steuerungssysteme für Roboter, die in der Lage sind, online zu lernen und mit reichhaltigen und komplexen Umgebungen zu interagieren.
Generierung nützlicher neuer Prinzipien für den Bereich des maschinellen Lernens und Erreichen des „Wendepunkts“, an dem das Verständnis der Gehirnmechanismen hinter Wahrnehmung, Gedächtnis, Kognition, Entscheidungsfindung und motorischer Kontrolle erhebliche Auswirkungen auf die Bereiche künstliche Intelligenz, Robotik und haben wird
neuromorphe Technologie Schaltkreise
Berechnung datengesteuerter, vertrauenswürdiger KI-Modelle zur Vorhersage des Risikos einer Progression chronische neurologische Erkrankungen.“
Quelle: The coming decade of digital brain research V3.pdf auf: https://www.humanbrainproject.eu

9 Hier ist sie: https://teaching.thehumanbrain.info/projekte/atlanten/, die moderne Präzisierung von Descartes Zirbeldrüsentheorie.

10 Zu Zeiten von Corona kann man heute dankenswerterweise in eine ganze Reihe von Vorlesungsveranstaltung zur Philosophie des Geistes an deutschen Universitäten hineinschauen. Gerade spricht der Referent, wir verschweigen besser wer das ist, von 'exotischen Realisierern von Qualia' und kündigt an, gleich werde er von 'Zombies' sprechen (Er, während er das Wort an die riesige Hörsaaltafel schreibt: „ich lasse das ganz bewusst offen, was ich damit meine...“). Abschließend über 'invertierten Qualia' sprechen, die Reihenfolge sei so gewählt, dass die Beispiel „in ihrer Exotik abnehmen und dann immer lebensweltlicher werden … wie sie sehen.“ Er kotzt dem Auditorium das '… wie sie sehen' sozusagen vor die Füße und wirkt extrem genervt, als wolle er sagen, wer das nicht sieht sei doch wohl gehirnamputiert. An Stellen wie dieser hört man auch in anderen Vorlesungen zum selben Thema reihenweise Sprüche wie diesen: „Wir verstehen unser Gehirn inzwischen ganz gut als kausale Beziehungen auf 'ner Mikroebene. Wir verstehen, was da so abgeht.. Also wir haben 'nen Haufen Neuronen im Gehirn ...“ Man hat das Gefühl, hier redet ein Idiot, der im nächsten Augenblick unglaublich pedantisch werden könnte, wenn es um logische Ableitungen geht. Also, das seien alles wahnsinnig komplexe neuronale Netze in unserem Gehirn, und jetzt habe doch der amerikanische Philosoph Ned Block das Gedankenexperiment gemacht, was denn wäre, wenn die chinesische Regierung auf die Idee käme, solch ein komplexes Netzwerk wie unser Gehirn derart zu kopieren, dass jeder Chinese ein Funkgerät in die Hand bekäme und die Rolle einer Gehirnzelle spielte, die mit anderen Chinesen... Wenn man so ganz genau die funktionale Struktur des Gehirns nachbilden würde, … „und jetzt ist die Frage, das Gehirn ist 'an', also das Licht des Geistes ist angeknipst“ (Das sagt er wirklich!) Dabei ist er noch gar nicht bis zu den Zombies gekommen. Oder sollten wir besser sagen, er hat deren Existenz soeben persönlich bewiesen? Schon denkt er weiter: „Stellen Sie sich vor, man könnte das Gehirn entnehmen und in die Gehirnreinigung in Reutlingen geben und der Körper lebte also weiter irgendwie“...“OK soweit? … Gut! Jetzt stellen sie sich vor, die Leute in Reutlingen verlieren mein Gehirn. Das darf ja nicht sein, das darf ja nicht sein. Das wäre denen peinlich. Auf keinen Fall. Es gibt aber 'nen Backup. Man kann ja jetzt die Chinesen nehmen, die können ja jetzt 'ne Stunde lang mein Gehirn simulieren“ … müsste dann dieses Netz nicht auch mentale Zustände liefern?“ … langes tiefes Schweigen...
„Da meint man, das sei doch ziemlich unplausibel.“ Daran (scharfe Conclusio) könne der Funktionalismus scheitern.
Das Dilemma der Philosophie des Geistes: Auf diesem Niveau – ein besseres gibt es nicht nur in bestimmten Hörsälen nicht - hätte sie niemals der EU die halbe Milliarde Euro aus den Rippen geleiert, die das human brain project ergattert hat, allerdings besetzt mit Wissenschaftler in den Forschungsgebieten der Molekularen und Zellulären Neurowissenschaften, der Kognitiven und der Theoretischen Neurowissenschaften, der Informations-und Kommunikationstechnologien, und – zugegeben – auch dem einen oder anderen Ethiker. Das macht es schwer, als Philosoph überhaupt noch ernst genommen zu werden. Man hört von zu vielen zu Dünnes.



Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de





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